Japan: Eine neue Dekade
LIQID Smart Letter
Februar 2024
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Inflation in Japan wird als positive Abkehr von der langanhaltenden Deflation gesehen. Trotz der Herausforderung durch den Kaufkraftverlust erfuhr das Land Anfang 2023 robustes Wachstum und erhöhte ausländische Investitionen.
- Japan überwindet die jahrzehntelange wirtschaftliche Stagnation durch das Zusammenspiel von Lohnwachstum, Konjunkturpaketen und Technologieinvestitionen. In 2024 könnte das zu einer nachhaltigen Wachstumsphase führen.
- Während zu Beginn des Jahres 2024 die globale Finanzwelt auf die „Magnificent 7” und den DAX fokussiert war, beeindruckte auch der japanische Nikkei 225 mit einem Anstieg von 30,9 Prozent in der Lokalwährung Yen in 2023. Mitte Januar stieg der Index auf ein 34-Jahres-Hoch, was für weitere Euphorie an den Märkten sorgte.
In diesem Artikel wollen wir den Zustand der japanischen Wirtschaft einordnen, eine Einschätzung zu den wesentlichen Treibern geben und daraus ableiten, was die Entwicklungen für japanische Aktien und Anleihen bedeuten könnten.
Beginnen wir dafür mit einem Blick in den Rückspiegel: In den vergangenen Jahrzehnten erlebte Japan eine Phase wirtschaftlicher Stagnation – oft auch als „verlorene Jahrzehnte" betitelt. Diese Periode war geprägt von niedriger Inflation bzw. Deflation sowie einem stagnierenden nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Lohnwachstum. Als Reaktion darauf verfolgte die Bank of Japan (BoJ) seit 2016 eine ultralockere Geldpolitik, die vor allem durch negative Leitzinsen geprägt war.
Steigende Inflation als Wendepunkt für Japan
Während andere Zentralbanken, wie in den USA und Europa, ihre Leitzinsen angesichts steigender Inflation erhöhten, hielt die BoJ an ihrem bisherigen Kurs fest (s. Abb. 1). Anhaltend niedrige Zinsen in Japan führten zu einer deutlichen Abwertung des japanischen Yen gegenüber anderen Währungen wie dem Euro und dem US-Dollar. Zum 1. Februar 2024 lag der Wert eines Yen bei nur noch 0,0063 Euro, während er fünf Jahre zuvor noch bei 0,008 Euro lag, das entspricht einem Wertverlustes des Yen von 21,25 Prozent. Infolge dieser Abwertung kam es zu einer Verteuerung von Importwaren, was wiederum die Inflationsraten in Japan ansteigen ließ. Treiber für die höhere Teuerungsrate waren vor allem deutliche Preisanstiege für Lebensmittel und Energie. Mit einem Höchststand von 4,3 Prozent im Januar 2023 fiel die Inflation allerdings sehr viel moderater aus als in anderen Ländern. Doch warum wurde gerade die steigende Inflation von vielen Marktakteuren positiv aufgenommen? Der Grund dafür ist in den Jahrzehnten der Deflation zu suchen, die in Japan zu einer Abwärtsspirale aus sinkenden Umsätzen, Löhnen und Investitionen geführt haben. Die aktuelle Entwicklung könnte daher einen Wendepunkt für die japanische Wirtschaft bedeuten.
So war die erste Hälfte des vergangenen Jahres von einem robustem Wachstum der japanischen Wirtschaft geprägt. Treiber waren der Konsum der Post-Covid-Ära, solide Unternehmensinvestitionen und eine gesteigerte Nachfrage nach japanischen Exporten aufgrund der günstigen Wechselkurse für ausländische Unternehmen. Zusätzliche Impulse kamen von ausländischen Investoren wie dem legendären US-Investor Warren Buffett und seiner Firma Berkshire Hathaway, die ihre Beteiligungen an japanischen Handelsunternehmen wie Itochu und Mitsui ausweiteten. Im dritten Quartal flachte der Aufschwung allerdings ab, da die externe Nachfrage sowie der heimische Konsum zurückgingen und Investitionen sich verzögerten. Weiterer Gegenwind kam von der nachlassenden Kaufkraft japanischer Haushalte durch die gestiegene Inflation. Dies führte dazu, dass das reale BIP Japans im dritten Quartal erstmals seit drei Quartalen wieder rückläufig war. Wie steht es also nun um die mittel- bis langfristige Entwicklung der japanischen Wirtschaft? War die Phase des wirtschaftlichen Wachstums womöglich nur ein Strohfeuer?
Lohnwachstum, Konjunkturpakete und Technologie: Wachstumstreiber in 2024
Angesichts der erwarteten Verlangsamung des Wirtschaftswachstums im ersten Halbjahr 2024 ist es entscheidend, die tieferen strukturellen Veränderungen in der japanischen Wirtschaft zu betrachten, die das Fundament für eine nachhaltige Erholung legen könnten. Die seit 2013 umgesetzten „Abenomics”-Maßnahmen sind eine Mischung aus expansiver Geldpolitik, stimulativer Fiskalpolitik und strukturellen Reformen. Für die japanische Wirtschaft scheinen sie einen Wendepunkt darzustellen, vergleichbar mit der historischen Meiji-Restauration. Diese hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ära des modernen Japan eingeleitet, bei der es zu enormen Veränderungen der politischen und sozialen Strukturen kam. Diese aktuellen Veränderungen – insbesondere die Unternehmensreformen und die Überwindung der Deflation infolge der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine – signalisieren eine tiefgreifende Verschiebung von Japans Wirtschaftskraft. Trotz der Herausforderungen, die durch externe Ereignisse entstanden sind und die Inflation in Japan angeheizt haben, scheint das Land auf einem Pfad zu sein, der eine nachhaltige und sich selbst verstärkende Wachstumsumgebung fördert. Dies wird durch das Lohnwachstum, die Konjunkturpakete und die zunehmenden Investitionen in digitale Technologien weiter unterstützt, was 2024 zu einem wichtigen Jahr für Japans wirtschaftliche Renaissance machen könnte.
Für die erste Jahreshälfte in 2024 ist mit einem verlangsamten Wirtschaftswachstum zu rechnen. Allerdings scheint Japan insgesamt aus der wirtschaftlichen Lethargie der letzten drei Jahrzehnte ausgebrochen zu sein und der Erholungskurs dürfte sich auch dieses Jahr fortsetzen. Dabei wird die positive Entwicklung der japanischen Wirtschaft im Wesentlichen von drei treibenden Kräften gestützt. Erstens wird das Lohnwachstum, das letztes Jahr an Fahrt gewonnen und zu einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von 3,6 Prozent geführt hat, seinen Aufwärtstrend beibehalten und in diesem Jahr nach Prognosen nochmals um über 2 Prozent wachsen. Angetrieben wird das Lohnwachstum vor allem von Japans demografischem Problem einer alternden Bevölkerung und des daraus resultierenden akuten Arbeitskräftemangels. Der positive Zyklus von Preis- und Lohnsteigerungen aus dem letzten Jahr kann somit fortgeführt und eine Deflation damit vermieden werden. Zweitens könnte das kürzlich angekündigte Konjunkturpaket der Kishida-Regierung in Höhe von 17 Billionen Yen (ca. 106 Milliarden Euro) ein wichtiger Treiber des japanischen Konsums werden und dem Haushaltssektor 2024 spürbare Unterstützung bieten. Das Paket umfasst neben Bargeldzuschüssen auch Kürzungen bei der Einkommens- sowie Einwohnersteuer. Drittens werden die Unternehmensinvestitionen in digitale Technologien auch in diesem Jahr erneut steigen und als Wachstumsmotor wirken (s. Abb. 2). Denn durch den Digitalisierungsausbau in Japan werden die Effizienz gesteigert, die Arbeitskosten verringert und der Arbeitskräftemangel gelindert.
Setzt sich die Rekordjagd an Japans Börse fort?
In den ersten Tagen des neuen Jahres konzentrierten sich Finanzmedien vorrangig auf die beeindruckende Performance der „Magnificent 7”, also der großen Technologieunternehmen wie Amazon, Microsoft und NVIDIA sowie auf das Allzeithoch des deutschen Aktienindex DAX. Dabei zeigte auch der japanische Aktienmarkt eine bemerkenswerte Entwicklung: So näherte sich der Nikkei 225 mit einem Anstieg von rund 30 Prozent in der Lokalwährung Yen im Jahr 2023 seinem historischen Höchststand, den er vor dem Platzen der japanischen Aktien- und Immobilienblase Ende 1989 erreicht hatte. Für 2024 positionieren sich Finanzexperten „bullish” zu Japan, erwarten also steigende Kurse. Laut der „Global Fund Manager Survey” (FMS) der Bank of America sind professionelle Investoren überdurchschnittlich stark in japanischen Aktien engagiert, verglichen mit der durchschnittlichen Positionierung der letzten 20 Jahre.
Innerhalb des wirtschaftlichen Wandels verzeichneten die japanischen Staatsanleihen „Japanese Government Bonds” (JGB), im letzten Jahr eine deutliche Normalisierung. Die Rendite der 10-jährigen JGBs stieg fast auf 1 Prozent, ein Hoch, das seit einer Dekade nicht mehr erreicht wurde. Dieser Anstieg steht im Zusammenhang mit einer schrittweisen Reduzierung der Kontrolle der Zinskurve auch „Yield Curve Control” (YCC) durch die Zentralbank. Mit der YCC versucht die BoJ seit 2016, die Deflation zu bekämpfen und Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Ziel dieser Politik ist es, die kurzfristigen Zinsen auf einem niedrigen Niveau zu halten und gleichzeitig die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen um ein Niveau von 0 Prozent zu stabilisieren, indem die BoJ aktiv in den Anleihenmarkt eingreift. Die Entwicklung geringer Renditen deutet darauf hin, dass die JGBs eines der wenigen Anleihensegmente sind, bei denen für 2024 negative Gesamtrenditen erwartet werden, was professionelle Investoren dazu veranlasst, japanischen Staatsanleihen in ihren Portfolios unterzugewichten.
Was bedeutet das für die Märkte?
Bei ihrer Sitzung am 22. Januar ließ die BoJ ihre ultralockere Geldpolitik unverändert, was von den meisten Marktteilnehmern erwartet worden war. Dabei beließ die Zentralbank die kurzfristigen Zinssätze bei -0,1 Prozent. Die BoJ merkte bei ihrer Sitzung an, dass die Wahrscheinlichkeit, die umfangreichen Stimulierungsmaßnahmen beenden zu können, weiter zunehme. Sie benötige aber mehr Zeit, um das Lohnwachstum zu beobachten, denn das sei notwendig, um die Inflation nachhaltig auf ihr 2-Prozent-Ziel zu erhöhen. Viele Analysten gehen daher davon aus, dass die BoJ ihr kurzfristiges Zinsziel in diesem Jahr in den positiven Bereich anheben wird.
Für Anleger bieten die beschriebenen Faktoren gute Perspektiven. Durch die beschriebenen Wachstumstreiber könnte 2024 ein gutes Jahr für japanische Aktien werden. Die Kehrtwende in der Geldpolitik könnte zudem dafür sorgen, dass der Yen wieder etwas aufwertet, was Euro-Anlegern zu Gute käme. In den LIQID Wealth Portfolios sind japanische Aktien daher auch 2024 in allen Strategien strategisch alloziert.