Märkte: Große Marktrotation bei US-Aktien
LIQID Smart Letter
August 2024
Das Wichtigste in Kürze:
- Das zweite Halbjahr steht ganz im Zeichen der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen und Marktteilnehmer versuchen potenzielle Implikationen für die Wirtschaft abzuwägen.
- Angetrieben durch die veränderten Wahlaussichten und die tieferen Inflationszahlen in den USA kam es zu einer beispiellosen Rotation am US-Aktienmarkt.
- Im Juli nahm von den bedeutenden Zentralbanken die Bank of Japan (BoJ) und die Bank of England (BoE) zinspolitische Änderungen vor.
Im ersten Halbjahr 2024 haben sich die Wachstumsaussichten auf beiden Seiten des Atlantiks verbessert, auch wenn das Wachstum weiterhin unter dem Trend liegt. Das Risiko einer Rezession hat sich verringert, und die Weltwirtschaft durchläuft eine Konsolidierungsphase mit unterdurchschnittlichem Wachstum und schleichender Disinflation. An den Märkten ist Vertrauen zurückgekehrt, was durch die Erwartung einer „sanften Landung” in den USA und einer breiten Gewinnerholung der Unternehmen gestützt wird.
Der Juli war dennoch ein eher schwacher Monat für die Aktienmärkte (s. Abb. 1). US-Aktien verzeichneten nach dem starken ersten Halbjahr nur minimale Kurszuwächse. Zudem sorgte die Geschwindigkeit der Korrektur im Technologiesektor für Verunsicherung. Small Caps – also Aktien mit geringer Marktkapitalisierung – haben im Juli eine überdurchschnittliche Performance erzielt, ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Anleger auf Zinssenkungen vorbereiten, die die Gesamtwirtschaft unterstützen werden. Bei den Anleihen konnten alle Segmente geringe Kursgewinne verzeichnen.
Anleihen: Das kurze Ende als Treiber hinter einer steiler werdenden Zinskurve
Die amerikanische Notenbank hat bisher gezögert, die Zinswende einzuleiten, und damit einen anderen Pfad als die EZB und verschiedene andere westliche Notenbanken verfolgt. Angesichts einer nachlassenden Inflationsdynamik und vermehrter Anzeichen für eine Abkühlung am Arbeitsmarkt dürfte der Offenmarktausschuss (FOMC) der Zentralbank FED unter der Leitung von Jerome Powell jedoch im laufenden zweiten Halbjahr 2024 mit einer Reduktion der Leitzinsen beginnen. Wir rechnen mit zwei Zinsreduktionen um jeweils 25 Basispunkte bis zum Jahresende.
Diese Anpassungen dürften nicht nur das ganz kurze Ende der Kurve beeinflussen, sondern auch den Bereich zwischen zwei und fünf Jahren. Wichtig ist, dass wir die bevorstehenden Zinsänderungen nicht als geldpolitische Lockerungen aufgrund einer Rezession sehen, sondern als graduelle Anpassungen, die das Zinsniveau allmählich in Richtung eines neutralen Niveaus bringen sollen.
Vor diesem Hintergrund halten wir kurzlaufende Anleihen weiterhin für attraktiver als langlaufende. Das liegt zum einen an der laufenden Rendite, die für Anleihen von bis zu zwei Jahren weiterhin höher ist als für Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Zum anderen kann es durch sinkende Leitzinsen bei kurzlaufenden Anleihen einen geringen positiven Bewertungseffekt geben, während bei langlaufenden Anleihen das Risiko eines Zinsanstiegs besteht. Gründe für Letzteres sehen wir in der nicht nachhaltigen Finanzierung des US-Staatshaushalts und den erhöhten Emissionen an langlaufenden Staatsanleihen.
Aktien: Rotation ungeahnten Ausmaßes
Die enge Marktbreite in den USA bereitete Anlegern dieses Jahr zunehmend Sorgen. Die Marktbreite misst, wie „breit abgestützt” Marktbewegungen sind. Allein die drei größten Werte im S&P 500 (Apple, Microsoft und NVIDIA) haben eine kombinierte Marktkapitalisierung von fast 10 Billionen USD, was rund 20 Prozent des Leitindex S&P 500 entspricht. Zwei Drittel der Indexperformance im zweiten Quartal waren auf zwei Schwergewichte zurückzuführen. Nur 16 Prozent der Indexwerte übertrafen den S&P 500, 84 Prozent hinkten dagegen hinterher. Der Russell 2000 – ein Index für Unternehmen mit kleinerer Marktkapitalisierung – erreichte gegenüber dem S&P 500 ein 23-Jahrestief und gegenüber dem Nasdaq 100 ein Allzeittief. In den letzten Wochen kam es jedoch zu einer unerwarteten Rotation im US-Aktienmarkt.
Auslöser waren die niedriger als erwarteten Inflationswerte in den USA und die Turbulenzen im US-Wahlkampf, wodurch sich die Wahrscheinlichkeiten für den Wahlausgang deutlich verschoben haben. Der Markt begann, tiefere Zinsen und einen Wahlsieg Trumps einzupreisen. Trump steht allgemein für eine potenzielle Senkung der Firmensteuern, mehr Druck auf die FED zur Zinssenkung sowie für weniger Regulierung und mehr Protektionismus – alles tendenziell positive Effekte für kleinere, heimmarktorientierte Unternehmen. Innerhalb weniger Handelstage erzielte der Russell 2000 die größte Outperformance gegenüber dem S&P 500 seit dem „Schwarzen Montag” 1987 und die größte Outperformance gegenüber dem Nasdaq 100 seit dem Platzen der Technologieblase im Jahr 2000.
Abbildung 2 verdeutlicht diese massive Rotation innerhalb des US-Aktienmarktes von den Technologiegiganten hin zum breiten Markt. 76 Prozent der Indexwerte entwickelten sich dabei besser als der S&P 500 – die beste Marktbreite in 20 Jahren – während die Bewegung des S&P 500 verhältnismäßig gering ausfiel. Im April haben wir bereits über das Aufholpotenzial der Small Caps geschrieben, was auf der Erwartung einer „sanften Landung” der US-Wirtschaft kombiniert mit einer breiter abgestützten Gewinnerholung basiert und nicht vom Wahlausgang abhängt.
Was heißt das für Anleger?
Im Juli haben wir eine Rotation von den großen Werten im S&P 500 zu Nebenwerten gesehen und sehen weiteres Aufholpotenzial für den gleichgewichteten S&P 500. Insgesamt ist das Momentum im Aktienmarkt aber nach wie vor solide, auch wenn es teilweise zu Abverkäufen kam.
Zudem hat die Volatilität durch das Ausscheiden Bidens im US-Wahlkampf zugenommen. Historisch betrachtet ist das keine Überraschung: Die Volatilität in US-Aktien zeigt ein klares saisonales Muster für das zweite Halbjahr, insbesondere in Wahljahren. Dies bedeutet, dass die Nervosität von Juli bis November im Vorfeld der Wahlen kontinuierlich ansteigt, um nach dem Wahlausgang im Dezember wieder zurückzufallen. Nachdem die Volatilität am US-Aktienmarkt bis dahin äußerst tief war, dürfte ein Anstieg im zweiten Halbjahr also nicht überraschen. Nach dem Ausscheiden von Joe Biden werden die Karten im Wahlkampf neu gemischt, was neue Unsicherheiten bringt. Anleger sind in dieser Phase gut beraten, an einer breiten und robusten Vermögensaufstellung festzuhalten.