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Bullenmärkte: Warum ein Ende ein neuer Anfang sein kann

LIQID Smart Letter

„The market can remain irrational longer than you can remain solvent“, wusste schon der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes. Dieses bekannte Zitat erscheint auch bei einem Blick auf die gegenwärtige Marktlage treffend: Trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen haben die Aktienmärkte in den letzten Jahren eine beeindruckende Rally hingelegt. Doch wie lange kann diese Entwicklung noch anhalten? Wir erklären in diesem Beitrag, warum auch das potenzielle Ende eines Bullenmarkts kein Beinbruch sein muss und worauf es jetzt für Anleger ankommt.

Europa und China im Aufwind – kippt der US-Markt?

Während die vergangenen zwei Jahre vor allem von steigenden Kursen in den USA und im Technologiesektor geprägt waren, scheinen sich die Wachstumstreiber jüngst zu verschieben. Europäische und chinesische Aktien rücken zunehmend in den Fokus und verzeichnen deutliche Kursgewinne. In den USA hingegen wächst die Sorge vor einem möglichen Abschwung. Die unberechenbare Politik von Donald Trump sorgt für erhebliche Schwankungen und befeuert die Nervosität der Anleger.

Quelle: LIQID, Bloomberg. Kumulierte Renditen des US-Leitindex S&P 500, des europäischen Leitindex STOXX Europe 600 und des Hongkonger Leitindex Hang Seng. Renditen in Euro und in Prozent. Zeitraum 2Y: 31.12.2022–31.12.2024; Zeitraum YTD: 31.12.2024–28.02.2025. Historische Renditen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen. 

Historische Muster sowie makroökonomische Indikatoren zeigen, dass eine Marktkorrektur oder sogar der Eintritt in einen Bärenmarkt nicht ausgeschlossen ist. Doch woran erkennt man den Übergang von einem Bullen- zu einem Bärenmarkt? Und welche Strategien sollten Anleger jetzt verfolgen, um bestmöglich vorbereitet zu sein?

Was sind Bullen- und Bärenmärkte?

Ein Bullenmarkt beschreibt eine Phase, in der Aktienkurse über einen längeren Zeitraum steigen und um ungefähr 20 Prozent oder mehr seit dem letzten Tiefpunkt zugelegt haben. Meist ist dies mit wirtschaftlichem Wachstum, niedrigen Zinsen, optimistischen Investoren und steigenden Unternehmensgewinnen verbunden. Typischerweise dauert ein Bullenmarkt mehrere Jahre und wird von zunehmendem Kapitalfluss in Aktienmärkte getragen.

Ein Bärenmarkt hingegen ist durch fallende Kurse geprägt. Ein Rückgang von mindestens 20 Prozent von den vorherigen Höchstständen gilt als klassischer Indikator. Dies geht oft mit einer Rezession und geopolitischen Unsicherheiten einher. Anleger verkaufen riskante Anlagen, was die Abwärtsbewegung weiter verstärkt.

Bullen- und Bärenmärkte gehören zum natürlichen Zyklus dazu, wobei steigende Märkte historisch betrachtet deutlich länger anhalten. Eine Analyse zur historischen Performance im S&P 500 von First Trust zeigt: Ein Bullenmarkt dauert im Schnitt 4,3 Jahre und bringt eine Gesamtrendite von 150 Prozent. Während ein Bärenmarkt nur 11,1 Monate mit kumulierten Verlusten von durchschnittlich 31,7 Prozent anhält.

Quelle: LIQID, First Trust. Tägliche Renditen vom S&P 500 Index. Zeitraum: 29.04.1942–31.12.2024. Historische Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen. 

Bullenmarkt 2023–2025: Blase oder nachhaltiges Wachstum?

Die Marktstärke in den letzten zwei Jahren basierte auf mehreren Faktoren:

  • Unternehmensgewinne zeigten sich robust.
  • Die US-Notenbank FED und die Europäische Zentralbank (EZB) haben nach aggressiven Zinserhöhungen wieder eine moderatere Haltung eingenommen.
  • Technologieaktien, insbesondere Künstliche Intelligenz, haben das Marktwachstum beflügelt.

Kann der Bullenmarkt auch in diesem Jahr anhalten? Historisch betrachtet gibt es einige Anzeichen dafür. Zwar tendieren die Renditen im dritten Jahr eines Bullenmarktes dazu, etwas niedriger auszufallen, doch sie sind in der Regel nicht negativ. Zudem hat der breite Markt noch Aufholpotenzial, insbesondere in Sektoren, die bisher hinter den führenden Technologie- und Wachstumsaktien zurückgeblieben sind. Auch eine weiterhin robuste Konsumnachfrage und eine verbesserte Unternehmensrentabilität könnten den Markt stützen.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Marktstimmung, die derzeit noch nicht die Euphorie des Jahres 2021 erreicht hat. Ein wesentlicher Indikator dafür wäre eine verstärkte Kaufaktivität durch Privatanleger. Obwohl die Nettomittelzuflüsse in Aktien zuletzt gestiegen sind und höher liegen als in den frühen Phasen dieses Bullenmarktes, bleiben sie deutlich unter den Werten von 2021, als exzessiver Optimismus zu erkennen war. In den letzten sechs Monaten des Jahres 2024 betrugen die Nettomittelzuflüsse weniger als 100 Milliarden Dollar – ein deutlicher Kontrast zu den 1,2 Billionen Dollar, die 2021 verzeichnet wurden (Quelle: Morgan Stanley). Dieses Maß an Zurückhaltung deutet darauf hin, dass der Markt sich noch nicht in einer überhitzten Phase befindet, was die Wahrscheinlichkeit eines weiter anhaltenden Bullenmarktes erhöht.

Was jetzt für einen Bärenmarkt sprechen könnte?

Mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass der aktuelle Bullenmarkt an seine Grenzen stoßen könnte. Die positive Stimmung unter Analysten beginnt allmählich zu kippen, insbesondere im US-Technologiesektor. 

Diese Entwicklung könnte darauf hindeuten, dass viele Unternehmen bereits hoch bewertet sind und zukünftiges Wachstum möglicherweise nicht mehr im gleichen Tempo stattfinden wird. Gleichzeitig wächst der Konkurrenzdruck durch chinesische Unternehmen im Bereich der Künstlichen Intelligenz, was etablierte US-Tech-Giganten unter Druck setzen könnte. 

Hinzu kommen makroökonomische Risiken wie Trumps protektionistische Handelspolitik, die weitere Unsicherheiten in den Markt bringt, sowie erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Abkühlung, darunter gesenkte Umsatzprognosen großer Einzelhändler und anhaltende Inflationssorgen. Diese Kombination könnte die Märkte in eine Bärenmarktphase überführen.

Anleger können Bärenmärkte als Chance nutzen 

Allerdings sind Bärenmärkte nicht nur negativ für Anleger. Vielmehr bieten sie attraktive Gelegenheiten für antizyklische Investoren, die in Zeiten fallender Kurse gezielt Zukäufe tätigen können. Erfolgreiche Investoren wie Warren Buffett verfolgen genau diese Strategie.

Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont können daher von solchen Marktphasen profitieren, indem sie Ruhe bewahren und ihre Strategie konsequent verfolgen. Wer in schwachen Marktphasen kontinuierlich investiert, kann langfristig von einer Erholung profitieren, da sich die Kurse historisch gesehen nach jedem Bärenmarkt wieder erholt haben.

Was bedeutet das für Anleger?

Eine zentrale Erkenntnis für Anleger: Die erhöhte Volatilität an den Kapitalmärkten dürfte in den kommenden Jahren bleiben. Die wirtschaftliche Unsicherheit, verstärkt durch geopolitische Spannungen und den ruppigen Politikstil des US-Präsidenten, deutet darauf hin. Dies könnte dazu führen, dass Marktbewegungen stärker von kurzfristigen politischen Entscheidungen und globalen Handelskonflikten beeinflusst werden.

Um sich gegen diese Unsicherheiten abzusichern, bleibt eine breite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen hinweg essenziell. Aktien, Anleihen, Rohstoffe und alternative Investments können helfen, Risiken zu streuen und potenzielle Verluste abzufedern. 

Trotz kurzfristiger Turbulenzen zeigt die Vergangenheit, dass sich die Märkte statistisch gesehen mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig erholen und positive Renditen erzielen. Trotzdem ist die historische Wertentwicklung selbstverständlich keine Garantie für die Zukunft. Anleger sollten daher nicht überstürzt auf Kursschwankungen reagieren, sondern einen kühlen Kopf bewahren.