Märkte: Sinkende Zinsen sorgen für Aktienrally
LIQID Smart Letter
Dezember 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Rückblick: Im November sorgten sinkende Inflationsraten für einen deutlichen Rückgang der Renditen von Anleihen. Die Aktienmärkte begrüßten diese Entwicklung mit einer Rally.
- Ausblick: Der deutliche Rückgang der langfristigen Zinsen könnte noch eine Gegenbewegung nach sich ziehen. Der Fokus der Anleger verschiebt sich derzeit von „Zinssorgen“ zu „Wachstumssorgen“.
- Falls keine unerwartete wirtschaftliche Abkühlung eintritt, rechnen wir weiter mit rezessiven Geldpolitik und halten Zinssenkungen in der ersten Jahreshälfte 2024 für unwahrscheinlich.
Das Wechselspiel zwischen Anleihenrenditen und Aktienkursen war auch im November das bestimmende Thema. Die Aktienmärkte reagieren derzeit sehr sensibel auf Veränderungen der Renditen. In den vergangenen Monaten lag das Niveau der zehnjährigen US-Staatsanleihen irgendwo zwischen 4 und 5 Prozent. Dabei konnten wir beobachten, dass dies ein Niveau ist, bei dem jeder weitere Anstieg der Renditen ziemlich konsequent negative Aktienrenditen auslöst. Der Grund dafür ist, dass sich die Renditen der Anleihen durch höhere Kapitalkosten und damit niedrigere Margen und künftige Cashflows negativ auf die Bewertungen der Aktien auswirken.
Im November drehte sich dieses Bild und sinkende Anleihenrenditen führten zu kräftigen Kurszuwächsen bei Aktien. Ausgelöst wurde diese Aktienrally durch unerwartet niedrige US-Inflationsdaten. Während zuvor noch eine Minderheit der Marktteilnehmer damit rechnete, dass die US-Notenbank (FED) anlässlich ihres nächsten Zinsentscheids im Dezember die Leitzinsen wieder anheben würde, herrscht nun an den Finanzmärkten weitgehende Einigkeit darüber, dass es vor Jahresende keine weitere geldpolitische Straffung geben wird. Und trotz schwacher Konjunkturdaten begrüßten die Börsen die sinkenden Renditen der Anleihen mit einer Aktienrally.
Trotz schwacher Konjunkturdaten begrüßten die Börsen die sinkenden Renditen der Anleihen mit einer Aktienrally. Auf Indexebene schlossen Aktien und Anleihen den November auf breiter Front im Plus ab (s. Abb. 1). Rohstoffe verloren fast 5 Prozent und auch Gold schloss nach der guten Entwicklung im Vormonat im November leicht im Minus.
Abb. 1: Rendite ausgewählter Anlageklassen im November 2023 und seit Jahresbeginn
Anleihen: Wie reagiert die Zentralbank in den USA?
Nach der Jahreshälfte 2023 zeichnete sich ab, dass der Druck auf die Leitzinsen am kurzen Ende durch weitere Zinserhöhungsschritte nachlassen dürfte. Seitdem rückten die Zinsen am langen Ende der Zinskurve stärker in den Fokus. Als einen der treibenden Faktoren für den Renditeanstieg bei Anleihen mit längerer Laufzeit sehen wir die überraschend robuste Konjunkturentwicklung in den USA, wo die Rendite zehnjähriger Anleihen seit dem vergangenen Frühjahr deutlich gestiegen ist und kurzfristig die wichtige Marke von 5 Prozent durchbrochen hat. Diesem Aufwärtsdruck konnten sich auch deutsche Bundesanleihen nicht ent- ziehen, wenngleich die Renditen absolut betrachtet weniger stark anstiegen (Abb. 2). Nach dem Erreichen neuer Mehrjahreshochs kam es in den letzten Wochen allerdings zu stark sinkenden Renditen bei länger laufenden Anleihen. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt nicht davon aus, dass diese Bewegung dadurch ausgelöst wurde, dass die Marktteilnehmer mit einer Rezession und damit einhergehend auch mit deutlichen Leitzinssenkungen rechnen. Dagegen spricht unseres Erachtens die Erholung an den globalen Aktienmärkten sowie der erneute Rückgang der Risikoaufschläge im Segment Hochzinsanleihen.
Abb. 2: Renditeentwicklung von Staatsanleihen 2023
Einen Auslöser für den Beginn der jüngsten Abwärtsbewegung bei den Renditen langfristiger Staatsanleihen sehen wir hingegen in der letzten Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) der US-Zentralbank Anfang November. Anders als in der Vergangenheit scheint der Markt an der Bereitschaft der Währungshüter zu zweifeln, der restriktiven Kommunikation auch weiterhin Taten folgen zu lassen. Hinzu kommt, dass die jüngsten Konjunkturdaten auf die seit langem erwartete wirtschaftliche Verlangsamung in den USA hindeuten. Sollte sich die Abschwächung der US-Wirtschaft in moderatem Tempo fortsetzen, gehen wir davon aus, dass der restriktive Ton vorerst beibehalten wird und sich Hoffnungen auf eine baldige erste Zinssenkung als zu optimistisch erweisen. Gestützt auf frühere Äußerungen des FED-Vorsitzenden Powell sehen wir eine gewisse Bereitschaft, eher eine stärkere Konjunkturverlangsamung als ein Wiederaufflammen der Inflation zu riskieren.
Aktien: Wachstumssorgen lösen Zinssorgen ab
Vor einem Monat haben wir über die Gravitationskraft der Anleihenrenditen als die vorherrschende Kraft an den Aktienmärkten geschrieben, und wie diese auf die Bewertungen drückten. Nach einer dreimonatigen Korrektur der Aktienkurse boten im November die hohe Risikoaversion, die negative Investorenstimmung und die hohen Barbestände globaler Fondsmanager einen fruchtbaren Boden für eine Gegenbewegung.
Abb. 3: Kursentwicklung und Volatilität (VIX) von US-Aktien
Der Aktienmarkt suchte verzweifelt nach einem Vorwand für eine Jahresendrally und fand diesen schließlich in Makrodaten, die schwächer als erwartet ausfielen. Der Grund: Enttäuschende Konjunkturnachrichten und ein moderater Inflationsrückgang nahmen Druck vom strengen geldpolitischen Kurs der Notenbanken. Nach Zinserhöhungen um ganze 5,0 Prozent in nur 17 Monaten gefolgt von vier Monaten mit unveränderten Leitzinsen und schwächeren Makrodaten war das neue Narrativ geboren: die lang ersehnte „FED-Pause".
Während die Zinsen für zehnjährige US-Staatsanleihen um 60 Basispunkte fielen, startete eine Erholungsrally ausgehend von überverkauften Niveaus und passend zur Saisonalität. Treibende Kraft waren die technologielastigen Börsenlieblinge. In einem Umfeld niedriger Volatilität kam es zu erstaunlichen Tagesbewegungen. Ein Beispiel: Nur fünfmal in der Geschichte des S&P 500 Index legte dieser um mehr als 1,9 Prozent an einem Tag zu, während die Volatilität am Markt so tief war (Volatilitätsindex VIX unter 15, Abb. 3). Zwischenzeitlich ist die Volatilität in den USA, Europa und der Schweiz auf die tiefsten Niveaus seit vor der Coronakrise gefallen. Die Jahresperformance von Aktien stand zeitweise auf wackeligen Beinen. Noch Anfang November waren die zehn größten Werte im S&P 500 für 135 Prozent der Indexperformance verantwortlich, während der „S&P 490“ sozusagen eine negative Entwicklung aufwies, was historisch einmalig erscheint. Diese Konzentration auf wenige Titel kann auch als „enge Marktbreite“ bezeichnet werden und hat sich mit der jüngsten Rally endlich verbessert. In einer von Zinsängsten dominierten Welt können „schwächere Makrodaten“ zunächst gut für Aktien sein, da die Gefahr weiter steigender Zinsen dadurch abnimmt. Eine Verschiebung des Investorenfokus von „Zinssorgen“ zu „Wachstumssorgen“ könnte dies ändern. Unseres Erachtens schwankt die Investorenstimmung von einem Extrem zum anderen. In einem Umfeld anhaltender Wachstumsrisiken erwarten wir wieder höhere Volatilitäten.
Was heißt das für die Märkte?
Der Markt hatte in den letzten Monaten eine Tendenz, einzelne Datenpunkte oder Aussagen überzuinterpretieren. Das führte zu höherer Volatilität in der Rendite von Anleihen. Unsicherheit besteht einerseits aufgrund Risiken für die Wirtschaft, andererseits aber auch wegen der – für das kommende Jahr erwarteten – Zinswende bei einem Großteil der weltweit wichtigsten Notenbanken.
Mit anderen Worten: Wir befinden uns derzeit in einer Situation hoher Unsicherheit über die zukünftige Zinsentwicklung! Es ist daher wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Rückgang der längerfristigen US-Zinsen nach unserer Einschätzung keine Einbahnstraße sein wird. Nach der starken Abwärtsbewegung der letzten Wochen halten wir temporäre Gegenbewegungen für wahrscheinlich.
In einer von Zinsängsten dominierten Welt können „schwächere Makrodaten“ zunächst gut für Aktien sein, da die Gefahr weiter steigender Zinsen dadurch abnimmt. Eine Verschiebung des Investorenfokus von „Zinssorgen“ zu „Wachstumssorgen“ könnte dies ändern. Unseres Erachtens schwankt die Investorenstimmung von einem Extrem zum anderen. In einem Umfeld anhaltender Wachstumsrisiken erwarten wir wieder höhere Schwankungen in den Aktienkursen.
Insgesamt sind nun die globalen Risiken stärker in den Aktienbewertung reflektiert. Die Kursverluste des Weltaktienindex von rund 10 Prozent entsprechen einer durchschnittlichen Korrektur, während sich das Rendite-Risiko-Profil infolge der nun tieferen Bewertungen für Anleger leicht verbessert hat.