Märkte: Hohe Zinsen dämpfen den Optimismus
LIQID Smart Letter
Mai 2024
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Erwartung darüber, wie sich die Leitzinsen entwickeln, musste in den USA in Folge guter Wirtschaftsdaten und hartnäckiger Inflation zuletzt angepasst werden.
- Auch wir haben unsere Erwartungen angepasst und rechnen nun nicht mehr mit einem ersten negativen Zinsschritt der US-Zentralbank FED im Juni, sondern erst im Juli. Damit könnte es zu einer Premiere kommen, wenn die EZB bereits vor der FED die Zinsen senkt.
- Die Aktienmärkte haben im April unter der Erwartung langfristig höherer Zinsen und der geopolitischen Unsicherheit im Nahen Osten gelitten und etwas korrigiert.
Nach einem Jahresbeginn, der von Optimismus und der Hoffnung auf niedrigere Zinsen geprägt war, kam es in den letzten Wochen zu erneuten geopolitischen Spannungen und die Erwartung auf baldige Zinssenkungen der US-Notenbank musste weiter korrigiert werden.
Auf makroökonomischer Ebene hat die US-Wirtschaft ein anhaltend robustes Wachstum und ein Wiederaufleben der Inflation gezeigt. Positive Wirtschaftssignale sind aus einer allgemeinen Erholung des verarbeitenden Gewerbes und einer verbesserten Konsumentenstimmung abzulesen. Die robuste Nachfrage hat jedoch auch Anlass zu Besorgnis gegeben, da die Verbraucherpreise in den USA in einem Tempo steigen, das nicht mit dem Preisstabilitätsmandat der Notenbank FED vereinbar ist.
Zuvor hatten die Börsen die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft gefeiert und mit sinkenden Zinsen gerechnet. Die Rückkehr der Zinssensitivität trifft nun jedoch vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen, Firmen mit geringerer Bilanzqualität und hoch bewertete Wachstumswerte.
Im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte die US-Notenbank die Zinsen nicht so stark senken wie bisher erwartet. Die jüngsten Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass die FED eine erste Zinssenkung wahrscheinlich im Juli 2024 vornehmen wird, während die EZB aufgrund der Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung in der Eurozone bereits im Juni handeln könnte. Dies könnte eine historische Premiere sein, wenn die EZB der FED zuvorkommt.
Im April begannen die Aktienmärkte unter den höheren Renditen der Anleihen zu leiden. Denn Anleihen bieten eine zunehmend attraktive Alternative für kurz- und langfristige Anlagen und lassen Aktien weniger attraktiv erscheinen. Auf Monatssicht gaben die Aktienmärkte in den meisten Regionen deutlich nach, während auch die Kurse von Anleihen von steigenden Renditen negativ beeinflusst wurden (s. Abb.1).
Anleihen: Neubeurteilung der FED-Politik
Rückblickend wurde die gute Performance der Aktienmärkte seit Ende 2023 sicherlich auch durch die Erwartung einer „sanften Landung” möglich. Gemeint ist das Szenario eines Inflationsrückgangs, der Leitzinssenkungen ermöglicht bei gleichzeitig nur leichter Abschwächung des Wirtschaftswachstums. Beispiele dafür sind Höchststände zum Ende des ersten Quartals bei den globalen Aktienmarktindizes, aber auch der weitere Rückgang der Kreditrisikoprämien, die bereits zu Jahresbeginn eng erschienen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich zwischen den verschiedenen Zentralbanken ein unterschiedlicher „Zinspfad” abzuzeichnen beginnt. Betrachtet man die Entwicklung in fundamentalen Bereichen wie der Konjunktur- und Inflationsentwicklung, ist das nur konsequent. Exemplarisch lässt sich das in der erwarteten Leitzinspolitik für 2024 zwischen der US-Notenbank (FED) und der Europäischen Zentralbank (EZB) aufzeigen. Ging der Markt im Januar noch davon aus, dass die FED die Leitzinsen stärker senken dürfte als die EZB, hat sich das Bild mittlerweile komplett gedreht.
Der FED-Vorsitzende Jerome Powell hat jüngst selbst klargestellt, dass die aktuelle Datenlage wenig Anlass für eine präventive erste Zinssenkung gibt. Der Markt interpretierte dies als Eingeständnis, dass die bisherigen Bemühungen zur Inflationsbekämpfung nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Demgegenüber scheint die EZB auf einem guten Weg zu sein, das Inflationsproblem in den Griff zu bekommen. Dies hat, nicht nur Auswirkungen auf die Zinserwartungen, sondern auch auf die Struktur der aktuellen Zinskurve, die sich seit Jahresbeginn leicht und seit Mitte März deutlich von der Eurokurve entfernt hat (s. Abb. 2).
Auch wir haben unsere Erwartungen nach den jüngsten Konjunkturdaten angepasst und rechnen nun mit einem ersten Zinsschritt der FED im Juli 2024 (bisher Juni). Der Beginn des Zinssenkungszyklus zu einem späteren Zeitpunkt erscheint uns im Vorfeld der US-Wahlen zunehmend schwierig, da sich die US-Notenbank dem potenziellen Vorwurf einer aktiven Wahlbeeinflussung aussetzen würde.
Im Gegensatz dazu erwarten wir in der Eurozone aufgrund der aktuellen makroökonomischen Situation eine erste Zinssenkung im Juni. Während der Zinszyklus in den USA länger hoch bleiben dürfte als in Europa, könnte es gleichzeitig zu einer historischen Premiere kommen, nämlich dass die EZB bei den Leitzinsen vor der FED agiert.
Aktien: Die Zinssensitivität der Aktienmärkte kehrt zurück
Nachdem die jüngsten Inflationsdaten in den USA über den Erwartungen lagen und die Kapitalmärkte eine geringere Anzahl an Zinssenkungsschritten der US-Notenbank im laufenden Jahr erwarten, sind die zehnjährigen US-Staatsanleihezinsen wieder in die psychologische „Gefahrenzone“ von 4,5-5,0 Prozent geklettert. Im bisherigen Jahresverlauf hatte der Aktienmarkt vor allem die Widerstandskraft der US-Wirtschaft und ein erwartetes Ende der Rezession im verarbeitenden Gewerbe mit steigenden Kursen gefeiert. Das geschah allerdings auch in der gleichzeitigen Erwartung fallender Zinsen.
Mit Blick auf die Bewertungen hat sich das in Form von Vorschusslorbeeren in steigenden Kurs-Gewinn-Verhältnissen niedergeschlagen. Nun rückt die Schwerkraft der Zinsen wieder in den Vordergrund, was zur Rückkehr der Zinssensitivität an den Aktienmärkten führt. Diese treffen klein- und mittelgroße Firmen, sowie Unternehmen mit schlechterer Bilanzqualität überdurchschnittlich, setzen aber auch sportlich bewerteten Wachstumswerten zu. Die klein- und mittelgroßen US-Unternehmen sind einerseits viel kurzfristiger finanziert, so dass sich steigende Refinanzierungskosten schneller in höheren Zinskosten niederschlagen. Zudem operieren rund ein Viertel der Unternehmen im Russell 2000, dem US-Index für mittelgroße Börsenwerte, im Verlustbereich. Im Segment mit hoher Marktkapitalisierung, etwa dem S&P 500 Index, trifft das nur auf 5 Prozent der Unternehmen zu. Damit liegen die erwarteten Gewinne der kleinen Unternehmen weiter in der Zukunft, so dass höhere Zinsen über einen höheren Diskontfaktor auf den Unternehmenswert drücken.
Das Szenario eines solideren Wirtschaftswachstums bei gleichzeitig höheren Zinsen übersetzt sich für die Aktienmärkte in ein Tauziehen zweier entgegengesetzter Kräfte. Einerseits in Rückenwind in Form von höheren Gewinnerwartungen, andererseits in Gegenwind für die Bewertungsmultiplikatoren wie die KGVs. In einem solchen Umfeld dürfte der Markt in Bezug auf Qualität und erzielbares Gewinnwachstum anspruchsvoller und gegenüber Risiken hoher Bewertungen vorsichtiger werden.
Der amerikanische Aktienmarkt hat die weltweite Aktienrallye seit Ende Oktober 2023 angeführt. Der Löwenanteil der Kursgewinne ist auf eine Bewertungsexpansion in Form von steigenden KGVs zurückzuführen. Diese sieht sich nun mit einem Realitätstest in Form höherer Zinsen für einen längeren Zeitraum – und damit einer stärkeren Gravitationskraft – konfrontiert (s. Abb. 3).
Was heißt das für Anleger?
Die starken Wirtschaftsdaten in den USA sowie die hartnäckige Inflation haben dazu geführt, dass die Hoffnung auf Zinssenkungen weiter in die Zukunft verschoben wurde. Für den Optimismus an den Aktienmärkten könnte das zur Belastungsprobe werden. Insbesondere US-Aktien könnten kurzfristig Gegenwind erfahren. Da eine Rezession allerdings ausbleiben sollte, sind wir strukturell weiterhin positiv für die Aktienmärkte eingestellt.