Märkte: Anleihenrenditen geben den Takt an
LIQID Smart Letter
November 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Rückblick: Der Oktober war ein weiterer schwacher Monat für Aktien, die zunehmend durch die hohen Renditen bei Anleihen unter Druck geraten. Gold wurde als „sicherer Hafen“ verstärkt nachgefragt.
- Ausblick: Die Komplexität hat weiter zugenommen, während die hohen Zinsen das Wirtschaftswachstum dämpfen. Aktien haben bereits etwas korrigiert und reflektieren diesen Umstand mittlerweile besser.
- Die Europäische Zentralbank (EZB) sowie die US-Zentralbank FED verzichteten bei ihren Sitzungen im Oktober jeweils auf eine Zinserhöhungen, halten sich aber weitere Schritte offen.
In Phasen, die einen Wendepunkt bei Wirtschaftswachstum und Geldpolitik darstellen, erreicht die Unsicherheit an den Märkten jeweils ihren Höhepunkt. Mit der Eskalation des Nahostkonflikts kommt weitere Komplexität hinzu, was die schwierige Kombination aus hohen Zinsen und dem sich verlangsamenden Wirtschaftswachstum noch verstärkt.
Höhere Renditen bei Anleihen sind nach wie vor der größte Einflussfaktor für die Aktienmärkte, denn zumindest historisch haben sich Renditen auf dem aktuellen Niveau als Herausforderung für die Performance der Aktienmärkte erwiesen. Auf der anderen Seite bieten die aktuellen Renditen auch Chancen bei Staatsanleihen. Daneben haben die höhere Anleihenrenditen auch Auswirkungen auf die Wirtschaft: Wie von einigen Mitgliedern der US-Notenbank erwähnt, haben sie zu einer deutlichen Verschärfung der finanziellen Bedingungen geführt. Dies wirkt sich unter anderem auf den Motor des globalen Wachstums aus, nämlich den US-Konsumenten.
Die starke negative Korrelation zwischen Anleihenrenditen und Aktienmärkten ist weiterhin das beherrschende Thema an den Finanzmärkten. Im vergangenen Monat erreichte die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen kurzzeitig die symbolträchtige Marke von 5 Prozent, bevor sie auf ein nach wie vor hohes Niveau zurückfiel. Der Hauptgrund für die Erholung war, dass sich die US-Wirtschaft weiterhin besser als erwartet entwickelte, was sich in einem bahnbrechenden BIP-Wachstum von 4,9 Prozent im dritten Quartal widerspiegelte.
Die beschriebene Faktoren lasteten im Oktober auf den Aktienkursen in allen Regionen (s. Abb. 1). US-Aktien liegen auf Jahressicht weiterhin vorne. Zugleich fielen diese den dritten Monat in Folge und erlebten den schlechtesten Oktober seit 2018. Besonders positiv entwickelte sich Gold, das seit der Eskalation im Nahostkonflikt stärker als „sicherer Hafen“ nachgefragt wurde.
Abb. 1: Rendite ausgewählter Anlageklassen im Oktober 2023 und seit Jahresbeginn
Anleihen: Bewegung am langen Ende
Beherrschendes Marktthema des vergangenen Monats war der starke Anstieg der langfristigen Renditen für Staatsanleihen, die im Fall des zehnjährigen US-Treasury erstmals seit 2007 kurzzeitig wieder die Marke von 5 Prozent überschritten (s. Abb. 2). US-Finanzministerin Janet Yellen entgegnete auf Nachfrage, dass dieser Anstieg in den letzten Monaten die starke US-Konjunktur widerspiegle und nicht auf die stark gestiegene Kreditaufnahme der US-Regierung aufgrund des wachsenden Haushaltsdefizits zurückzuführen sei. An dieser Stelle ist es uns wichtig zu betonen, dass es oft schwierig ist, die genauen Gründe für eine Veränderung der Zinsstrukturkurve zu identifizieren. Nach unserer Einschätzung hatte auch die verstärkte Ausgabe von längerfristigen US-Staatsanleihen in den letzten Monaten ihren Effekt. Allerdings stimmen wir der US-Finanzministerin zu, dass das nach wie vor hohe Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft ein zentraler Punkt für den Renditeanstieg am „langen Ende“ der Zinskurve gewesen sein dürfte.
Abb. 2: Renditeanstieg am langen Ende
Weiterer zentraler Faktor, der derzeit Anlegerinnen und Anleger davon abhält, in länger laufende US-Staatsanleihen zu investieren, ist für uns der derzeit nicht vorhandene Diversifikationsvorteil gegenüber dem Aktienmarkt. Aber auch eine weiterhin negative Laufzeitprämie spielt eine Rolle, da langfristige Anleihen nach wie vor niedriger verzinst sind als kurzfristige. Die beiden letztgenannten Punkte sollten jedoch nur vorübergehender Natur sein. Falls sich zudem die wirtschaftlichen Aussichten eintrüben, dürfte sich die derzeitige Dynamik wieder umkehren. Was bleibt, ist die hohe Nervosität mit entsprechenden Ausschlägen bei den Renditen.
Aktien: Zinsen als stärkste Gravitationskraft
In den vergangenen drei Monaten standen die globalen Aktienmärkte unter Druck. Abbildung 3 zeigt die Rendite einzelner Aktienindizes in Lokalwährung. Japan und Großbritannien haben sich verhältnismäßig gut gehalten. Japan gehört in der entwickelten Welt zu den wenigen Ländern ohne geldpolitischen Gegenwind, was zu einer anhaltenden Abwertung des japanischen Yens beiträgt und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Exportwirtschaft stützt. In Euro gemessen sind die Kursverluste des japanischen Aktienmarktes in den letzten drei Monaten allerdings um 2,3 Prozentpunkte höher als in der Lokalwährung. Dem britischen Markt kam neben einer schwachen Währung ein hoher Anteil an Energiegesellschaften im Index zugute, die von den jüngsten Ausschlägen der Ölpreise profitieren konnten. Am unteren Ende der Skala finden sich die Schwellenländer, die überdurchschnittlich unter der anhaltenden Liquiditätsverknappung im US-Dollarraum wie auch dem schwachen Welthandel leiden.
Abb. 3: Kursverluste auf breiter Front
Die letzte Zinserhöhung der US-Notenbank war am 27. Juli. Zu diesem Zeitpunkt waren die zehnjährigen US-Staatsanleihenrenditen unter 4 Prozent. Ohne weitere Zinserhöhungen der FED stiegen diese innerhalb von drei Monaten kurzzeitig auf 5 Prozent, während die amerikanische Zentralbank ihre Bilanz um 335 Milliarden US-Dollar schrumpfte und der US-Dollar-Index von 101,8 Punkten um über 4,4 Prozent auf 106,3 anstieg. In Kombination mit höheren Ölpreisen stellt das eine klare Liquiditätsverknappung für die Märkte dar.
Abbildung 4 zeigt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Weltaktienindex gegenüber den invertierten zehnjährigen US-Staatsanleihenzinsen. Hier zeigt sich die Gravitationskraft der Zinsen für die Finanzmärkte deutlich. Als Reaktion auf den Zinsanstieg ist das KGV des Weltaktienindex in drei Monaten von 16,9x auf 15,0x zurückgefallen – eine Kontraktion von über 11 Prozent. In der gleichen Periode sind die Erwartungen an das Gewinnwachstum der kommenden zwölf Monate um lediglich 1,4 Prozent gefallen. Der Löwenanteil der Korrektur ist daher auf einen Rückgang der Bewertungen zurückzuführen.
Abb. 4: Höhere Zinsen führen zu Rückgang bei Aktienbewertungen
Was bedeutet das für die Märkte?
Durch den Anstieg der Zinsen ist der Druck auf Aktien gestiegen. Hinzu kamen weitere geopolitische Unsicherheit durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel, was zu einem Anstieg der Volatilität führte.
Einzelne Vermögensverwalter steuern ihre Risiken mittels Volatilitätskriterien, was dazu führen kann, dass bei einem Volatilitätsanstieg zwangsläufig Aktien reduziert werden und Verkaufsdruck im Markt verstärkt wird. Mittlerweile sind globale Vermögensverwalter unterdurchschnittlich in Aktien investiert, während Barbestände sowie der Bedarf an Absicherungsinstrumenten in die Höhe geschnellt sind. Dies spricht für eine äußerst pessimistische Anlegerstimmung.
Insgesamt sind nun die globalen Risiken stärker in den Aktienbewertung reflektiert. Die Kursverluste des Weltaktienindex von rund 10 Prozent entsprechen einer durchschnittlichen Korrektur, während sich das Rendite-Risiko-Profil infolge der nun tieferen Bewertungen für Anleger leicht verbessert hat.